Zur ablauforientierten Organisierung der sozialen Bewegungen und der basisdemokratischen Transformation der Staatsmacht im Iran.

 

Nach der erfolgreichen Kontinuität der anfänglichen Protestbewegungen und der Erweiterung ihrer sozialen und territorialen Reichweite im Iran, befinden sie sich mittlerweile in einer Stabilisierungsphase. Dennoch vernimmt man aus unterschiedlichen Motiven öffentliche Zweifel an ihren möglichen Erfolgschancen, da sie anscheinend über keine Führung verfügen. Mit diesem opportunistischen Zweifel am „führungslosen“ Erfolg der Protestbewegungen, die sich inzwischen mit den zunehmenden Streikbewegungen in eine revolutionäre Bewegung entwickelt haben, rechtfertigen zwei Gruppen ihre Haltungen und Handlungen:

 

  1. Die Regierungen der demokratischen Staaten, die bisher aus unterschiedlichen Gründen ein Interesse an der Stabilität der Islamischen Republik“ hatten.

  2. Die opportunistischen oppositionellen Gruppen im Ausland, die sich zur Führung der anscheinend kopflosen Bewegung berufen fühlen. Sie sind davon überzeugt, dass diese Bewegung für ihren Erfolg einer internationalen Unterstützung bedarf. Dazu wären Gesprächspartner notwendig, die sich dazu aus „patriotischen Gründen“ bereit erklären. Sie begreifen sich dabei als ein Dach zu einem entstehenden Haus, deren Träger die sozialen Bewegungen im Iran sind. Damit machen sie aber eine Rechnung ohne Wirt.

 

Es entsteht dabei der Schein einer Kopflosigkeit der Bewegungen im Iran aus einem einfachen Missverständnis heraus. Man verwechselt vor allem eine noch nicht abgeschlossene Aufbauorganisation der sozialen Bewegungen in ihrer gegenwärtigen Entwicklungsstufe mit der ablauforientierten Organisierung der sozialen Bewegungen, die sich aus den jeweils entstehenden Problemlagen ergeben. Denn Menschen stellen sich immer jenen Problemen, die sie lösen können. Eine sichtbar aufgebaute Organisation und ihr Plan ergeben sich daher nur als Ergebnis der in der Praxis gegebenen Problemlösungsstrategien der sozialen Bewegungen, die sich in eine revolutionäre Bewegung transformieren. Diese Problemlösungen manifestieren sich in der jeweiligen ablauforientierten Organisierung der sozialen Bewegungen.

 

Was anscheinend gegenwärtig vermisst wird, ist eine sichtbare Aufbauorganisation der sich inzwischen etablierten Protestbewegungen, die dabei ist, sich in eine revolutionäre Bewegung und Gegenmacht zu entwickeln. Was nicht sichtbar und daher nicht unterdrückbar ist, ist die aufgebaute Organisation im Sinne einer zielgerichteten Kooperation von Menschen in ihrer unterschiedlichen sozialen Lage. Ihr zunehmender Aufbau bildet in der Regel das hierarchische Gerüst einer erkennbaren Organisation. Sie ist sichtbar in dem vertikalen Informations- und Direktiven-Fluss in einer Organisation, in der man weiß, wer welche Entscheidungen von wem bekommt und an wen diese weitergegeben werden. Ja, diese Organisation formaler Macht existiert zurzeit nicht, da sich die soziale Erhebung in einer Transformation zu eine revolutionären Gegenmacht befindet. Deswegen ist die Aufbauorganisation noch nicht im sogenannten Organigramm formal sichtbar.

 

Dahingegen manifestiert sich die ablauforientierte Organisierung der sozialen Bewegungen lediglich in den ablaufenden Handlungs- und Informationsprozessen, die nahezu horizontal durch die noch nicht sichtbare dezentrale Aufbauorganisation fließen. Ihre ablauforientierte Organisation ist lediglich in der Prozesslandkarte der vielfältigen Protestaktionen der feministisch geprägten Schüler-, Studenten-, Stadtteil- und Streikbewegungen mehr oder weniger sichtbar. Es ist auch gut so, weil sie nur auf diese Weise vor dem allgegenwärtigen unbarmherzigen Unterdrückungsapparat des Regimesgeschont bleiben.

 

 

31.10.2022